Letsch überrascht mit Vitesse – „Andere Angebote abgesagt“
Nach Anerkennung und Bestätigung strebt jeder Mensch. Als Fußballcoach ist man vielleicht noch mehr davon abhängig. Doch was passiert, wenn man ausgerechnet von einem der derzeit weltbesten Trainer diese Wertschätzung nicht erfährt oder gar vergessen wird? Thomas Letsch ist dies vor wenigen Wochen passiert: Jürgen Klopp wurde auf einer Pressekonferenz nach seiner Meinung zu den deutschen Trainern in der Eredivise gefragt. Die Namen Frank Wormuth (Heracles) und Roger Schmidt (Eindhoven) gingen ihm leicht über die Lippen, den dritten, den von Letsch, wusste er aber nicht. Gab es den mittlerweile einen Entschuldigungsanruf von Klopp? „Nein, warum sollte er sich auch melden? Ich finde er hat keinen Fehler gemacht, warum sollte er auch die Namen aller deutschen Trainer kennen. Ich fand die ganze Sache eher witzig“, sagt Letsch schmunzelnd.
Anlass zur Freude hat er derzeit allemal: Das Überraschungsteam der Stunde in der niederländischen Eredivisie ist ganz klar Vitesse Arnheim – sein Team. In der vergangenen Spielzeit weit entfernt von den Spitzenplätzen der Liga, ist man nun auf Augenhöhe mit den Top-Mannschaften. Neben Sportdirektor Johannes Spors gehört Cheftrainer Letsch zu den Baumeistern des derzeitigen Erfolgs.
Zur ÜbersichtLiverpools Klopp sollte sich den Namen Thomas Letsch daher merken, denn der 52-Jährige, der wie der Welttrainer von 2019 gebürtiger Schwabe ist, sorgt mit Vitesse Arnheim derzeit für Furore in den Niederlanden. Der „FC Hollywood aan de Rijn“, wie er scherzhaft von seinen Fans genannt wird, spielt momentan attraktiven Fußball und befindet auf Tuchfühlung zur Tabellenspitze. Dass Vitesse oben mitspielen würde, hätten viele Experten dem Team nicht zugetraut. Schließlich musste man die Abgänge von Topspielern wie Bryan Linssen oder Tim Matavz verkraften, doch statt auf teure Neuzugänge zu setzen, hieß die Devise im Sommer, ablösefreie Profi oder Leihspieler wie Maximilian Wittek, Loïs Openda oder Jacob Rasmussen zu verpflichten. Darin sieht der ehemalige Austria-Wien-Cheftrainer genau die Chance.
Vitesse Arnheim soll als Sprungbrett für Neuzugänge dienen
„Uns war es nicht möglich, große Summen auszugeben. Wir haben uns bei den Verpflichtungen bewusst Zeit gelassen und ausführliche Gespräche geführt, um den Menschen hinter dem Fußballer zu erkennen. Genauso wichtig wie die fußballerische ist die charakterliche Komponente. Auch wenn es abgedroschen klingt, wir wollten Mentalitätsspieler, Charakterköpfe und Spieler, die Vitesse als Sprungbrett sehen und nicht als Endstation ihrer Karriere. Diese Jungs sind hungrig, bissig und vor allem offen und kritikfähig“, erzählt der Fußballlehrer.
Dass Letsch eine Vergangenheit bei Red Bull Salzburg vorzuweisen hat, ist auch in der Spielweise von Vitesse zu sehen. Mit aggressivem hohen Pressing, Gegenpressing und schnellen Umschaltmomenten begeistern sie ihre Fans und die neutralen Zuschauer. Das werde mit jedem weiteren Sieg schwieriger, wie der 52-Jährige zugibt. „Die Gegner stellen sich wie erwartet mittlerweile auf unseren Spielstil ein, gehen weniger Risiko. Dadurch müssen wir mehr Lösungen im Ballbesitz erarbeiten und umsetzen. Es macht aber Spaß neue Ansätze zu kreieren, diese mit dem Team zu trainieren und dafür zu sorgen, dass die Entwicklung der Mannschaft nicht stehen bleibt. Zudem habe ich mit unserem Sportdirektor Johannes Spors einen Wegbegleiter an meiner Seite, der die gleiche Idee vom Fußball teilt wie ich. Das sorgt dafür, dass das Arbeiten abseits des Platzes sehr zielgerichtet abläuft.“
Vitesse Arnheim: Trainer Letsch ist überzeugt von seiner Idee
„Indem man selbst von seiner Idee überzeugt ist“, klärt Letsch lachend auf. „Wenn du als Trainer nicht von deiner Spielidee überzeugt bist, merken dass die Spieler sofort. Wir haben bewusst eine lange Vorbereitung durchgeführt, sodass sich jeder einzelne an mich und ich mich an ihn gewöhnen konnte. Zwei Werte sind mir als Trainer und Mensch unglaublich wichtig: Ehrlichkeit und Respekt. Egal, ob wir Erfolg oder Misserfolg haben – die Spieler sollen wissen, woran sie sind. Genauso will ich, dass die Spieler, wenn sie Probleme haben, auf mich zukommen. Ich bin sicher kein Kumpeltyp, aber ich will, dass – wenn wir zusammenarbeiten – eine gute Zeit und eine gute Stimmung in der Kabine und auf dem Platz herrschen.“
Letsch betont: „Meiner Meinung nach beginnt der Erfolg auch schon im Kopf. Ich versuche den Jungs eine natürliche Siegesmentalität zu vermitteln, die vielen Teams abhandengekommen ist. Ob wir gegen einen Abstiegskandidaten spielen oder gegen einen Meisterschaftsanwärter – in jedem Fall geben wir uns nicht mit einem Punkt zufrieden. Wenn ich im Hinterkopf habe, dass vielleicht ein Punkt reicht, dann spiele ich auch so, als würde ein Punkt reichen“, meint Letsch. Zwischen seiner Tätigkeit bei Vitesse Arnheim und seiner letzten Station Austria Wien lagen über ein Jahr Vereinslosigkeit. Doch während andere Trainerkollegen nicht solange vom Trainerkarussell verschwunden sein wollten, wählte der sympathische Glatzenträger bewusst eine solche lange Auszeit.
Mir wäre es auch lieber, wenn wir vor Zuschauern spielen könnten, aber wir können im Gegensatz zu vielen anderen unserer Arbeit nachgehen
„Wir sollten uns immer bewusst machen, dass das Trainergeschäft extrem hart ist und keiner auf dich wartet, außer du bist der Erfolgstrainer schlechthin. Natürlich kann ich deshalb jeden Kollegen verstehen, der sagt, ich muss einen Job annehmen, ansonsten bin ich zu lange von der Bildfläche verschwunden. Das war bei mir glücklicherweise nicht der Fall. Ich bin von der Aufgabe bei Vitesse absolut überzeugt, deshalb habe ich auch andere Angebote abgesagt und bin nun sehr froh hier zu sein“, betont der Fußballlehrer. Als Letsch zum Abschluss zum Druck in Zeiten von Corona gefragt wird, hat er eine klare Meinung.
„Wenn jemand momentan Druck hat, dann die Menschen, die durch Corona ihren Job verloren haben und wirklich um ihre Existenz kämpfen müssen. Ich kann mich in jeden, ob aus der Gastro- oder Veranstaltungs-Branche, auch jeden aus unteren Fußball-Ligen oder Vertreter anderer Sportarten hineinversetzen. Für diese Menschen ist die derzeitige Situation sehr bescheiden, um es noch freundlich auszudrücken. Wir in den ersten Ligen im Fußballbereich sind extrem privilegiert. Mir wäre es auch lieber, wenn wir vor Zuschauern spielen könnten, aber wir können im Gegensatz zu vielen anderen unserer Arbeit nachgehen“, stellt der 52-Jährige unmissverständlich klar.
Bron: Tranfsermarkt / Foto's: SV